Gebäude und Quartiere als Energiequelle

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AktivPLUS – Gebäude und Quartiere als Energiequelle und Tankstelle


Frage: Das AktivPlus-Haus muss, um sich als Standard durchzusetzen, wirtschaftlich sein. Ist es das?
Prof. Dr. Fisch: „Der Erfolg eines Projektes besteht doch darin, dass es sich im großen Stil umsetzen lässt. Und natürlich steht für uns als praktisch arbeitende Ingenieure die Wirtschaftlichkeit immer auf der Agenda. Es geht um die investiven und die operativen Kosten, die meist von unterschiedlichen Beteiligten am Bauen getragen werden. Um den Energiestandard AktivPlus wirtschaftlich ganzheitlich richtig beurteilen zu können, täte man gut daran, die Gesamtkosten zu betrachten. Wir Ingenieure nennen das Vollkostenbetrachtung, was heute unter dem Begriff Lebenszykluskosten-Analyse zirkuliert.“

– Die im Aktiv-Stadthaus eingesetzten Technologien scheinen auf den ersten Blick aufwändig. Rechnet sich der AktivPLUS-Gedanke?
Prof. Dr. Fisch: „Wer hätte vor 10 Jahren gedacht, dass selbst produzierter Strom aus Photovoltaik heute wirtschaftlich konkurrenzfähig ist gegenüber dem Netzstrom. AktivPlus Technologie besteht zu einem großen Teil aus dezentral eingesetzten PV-Anlagen oder BHKW, die Biomethan nutzen. Und wenn man den Strom noch in der Wärmepumpe veredelt, erreichen wir Entstehungskosten sogar unter denen des heutigen Gaspreises von 6 bis 8 ct/kWh. PV-Strom vom Dach kostet heute ca.10 Cent pro kWh – und das bei einem heutigen Strompreis für Endkunden von 25 ct/kWh, das nenne ich Wirtschaftlichkeit. Das sollte Hausbesitzer auf die Idee bringen, den PV-Strom so weit wie möglich im eigenen Haus zu nutzen. Früher war der eingekaufte Netzstrom billiger, als der selbst produzierte – heute ist es umgekehrt. Der AktivPlus-Gedanke setzt auf die Reduzierung des End- und Primärenergiebedarfs für die Wärme- und Stromversorgung durch wirtschaftlich abgestimmte Maßnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs und Bereitstellung der Energie aus erneuerbaren Energienquellen.“

Frage: Es geht also auch um die Gebäudehülle?
Prof. Dr. Fisch: „Natürlich. Die vor uns stehende Ingenieur-Aufgabe ist es, den Energiebedarf durch eine optimierte Hülle so weit zu reduzieren, so dass die Kosten dieser Reduzierung gleich sind mit denen der eigenen Energieerzeugung aus Erneuerbaren Energiequellen. Ein Beispiel dazu, dass die Energieersparnis, die durch eine Wärmerückgewinnung mittels einer Lüftungsanlage möglich ist, mit den Kosten für eine PV-Anlage, die eine elektrische Wärmepumpe betreibt, verglichen werden sollte. Oder anders ausgedrückt: Macht es Sinn, das Geld aus energetischen Gründen in eine Wärmerückgewinnung für eine Lüftung zu investieren oder ist es besser in eine Photovoltaik-Anlage investiert. Das ist ein Beispiel für die Optimierungsansätze des AktivPlus-Gedankens. Und dieser rechnet sich bereits Heute und in Zukunft bei langfristig weiter steigenden Energiekosten auf jeden Fall.“

Prof. Dr. Norbert Fisch

Frage: Sie bewohnen ein derartiges Gebäude.
Prof. Dr. Fisch: „Ja, selbst entwickelt, geplant und seit 2011 bewohnt. Das inzwischen abgeschlossene vierte Betriebsjahr hat das Konzept – „Stromhaus inkl. E-Mobilität“ – und die Energieperformance zu 100 % bestätigt. Ich könnte mein eigenes AktivPlus-Haus auch ein „Money-Plus-Haus“ nennen, denn pro Jahr ergibt sich ein nennenswertes Plus zwischen Einspeisevergütung und Strombezugskosten. Ich kann mir heute keine bessere Investition vorstellen als eine Photovoltaik-Anlage. Sie hat uns die Tür geöffnet, den Strom so günstig aus der Sonne zu produzieren, dass man damit einzelne Gebäude, Gebäudeblöcke und Stadtquartiere größtenteils heizen und kühlen kann.
Eine Herausforderung ist dabei noch, den Jahresverlauf der Sonneneinträge mit dem Jahresverlauf der benötigten Heiz- und Kühlenergie abzustimmen. Das Verschieben vom Sommer-Überschuss zum Winter-Defizit ist effizienter lösbar in der Kombination von mehreren Häusern, sprich im Quartier. In einem einzelnen Haus ist die saisonale Speicherung eine wirtschaftliche Herausforderung. Wir arbeiten an meinem Institut IGS, TU Braunschweig an möglichen Speicherkonzepten für einzelne Ein- und Mehrfamilien-Gebäude.“

Frage: Wo steht die notwendige Technologie heute?
Prof. Dr. Fisch: „In den 1990er-Jahren versuchten wir, die Langzeitspeicherung von Sonnenenergie mit großen Wärmespeichern für Siedlungen technisch und wirtschaftlich zu lösen. Die Wohnsiedlung in Friedrichshafen-Wiggenhausen ist ein gutes Beispiel dafür.
Meine Empfehlung heute lautet: vom Haus zum Quartier die Synergien nutzen! Wir solarisieren die Häuser in Niedrigenergiebauweise, binden BHKWs mit ein und verwenden den sommerlichen Überschuss-Strom von der gebäudeintegrierten PV-Anlage zur elektrolytischen Wasserstoff-Herstellung, der in das Gasnetz mit 6 – 8% eingespeist wird. Damit könnte man überschüssigen Strom nicht nur in die Stromnetze, sondern auch in die Gasnetze exportieren. Somit wachsen in einem derartigen Quartier Strom- und Gasnetze zusammen (Power to Gas), was in dieser Art in der „Neuen Weststadt Esslingen“ geplant ist. Zusätzlich kann der solare Wasserstoff gespeichert und zum Betanken der Städtischen Busse mit Hybridantrieb genutzt werden. Die Elektrolyse muss nicht in jedem Haus stattfinden. Sie wird zentral im Quartier untergebracht.“

Frage: Wie können wir uns diese Solarsiedlung vorstellen?
Prof. Dr. Fisch: „Die Interessen müssen vernetzt sein, was Aufgabe eines ganzheitlichen Planungsprozesses und integralen Planung ist. Die Umsetzung in einem Stadt-Quartier erfordert die Abstimmung zwischen vielen Beteiligten mit unterschiedlichen Interessen, die sich alle in diesem Umfeld eine Win-Win-Situation versprechen. Ob Strom oder Wasserstoff: beide Energieträger müssen wirtschaftlich sein. Wir entwickeln im Team für Esslingen und auch in Wolfsburg mehrere Quartiere als Nukleus für die Zukunftsstadt, Pilotprojekte, die nicht nur energetische Aspekte verfolgen. Dort wirkt das AktivPLUS-Haus im städtischen Kontext. Es entsteht ein Smart Grid, bei dem Erzeuger und Verbraucher miteinander kommunzieren.
Wir sind bereits für die ersten Baufelder in Esslingen in der Planungsphase und in Wolfsburg laufen die städtebaulichen Wettbewerbe mit der klaren Zielsetzung „CO2-neutrale Energieversorgung“ und soziale Zukunfstsstadt.“

Frage: Haben in dieser Siedlung die Wärmepumpen ausgedient?
Prof. Dr. Fisch: „Elektrische Wärmepumpen bzw. Kältemaschinen werden in der Zukunft weit wichtiger werden als bisher. Der Stromüberschuss, der im Sommer aber auch in der Heizperiode von den PV-Anlagen der Hausdächer kommt, wird in der Wärmepumpe bzw. Kältemaschine direkt zum Heizen und Kühlen der Gebäude genutzt. Im Vergleich zu einem elektrischen Heizstab geschieht dies drei- bis fünfmal effektiver – wir sprechen hier von Power to Heat. Im Quartier denken wir an kaskadenartig ausgelegte Hochtemperatur-Wärmepumpen, die im Sommer großvolumige Warmwasserspeicher auf 90 °C (Power to heat) erwärmen, die die Wärme im Winter an die Häuser abgeben. Die Wärmepumpen werden zum Ende der Heizperiode zur weiteren Entladung des großen Wärmespeichers genutzt – ein solches Pilotprojekt werden wir demnächst umsetzen.“

Frage: Haben thermische Solaranlagen in diesem Szenario noch eine Zukunft?
Prof. Dr. Fisch: „Die thermische Solarenergienutzung hat es schwer im wirtschaftlichen Vergleich. Wir haben dazu gerade ein umfassende Studie „futureSolar“ – gefördert vom BMUM – abgeschlossen. Es zeigt sich, dass bis zu einem Deckungsanteil von 50% die Solarthermie mit einem PV-Wärmepumpen-System wirtschaftlich gleichwertig ist. Für höhere Deckungsanteile – bis 100% – sich jedoch das PV-WP-System durchsetzt. Dazu ein ganz einfaches Beispiel: Die Wärmekosten aus einer mit PV-Strom gespeisten Wärmepumpe liegen vor Einspeisung in Langzeit-Wärmespeicher zwischen 5 bis 6 ct/kWh. Die entsprechend durch thermische Solarkollektoren gelieferte Wärme ist daran zu messen und bedeutet, dass die Investitionen für Kollektorfelder unter 200 Euro/m² sinken müssten – von derzeit um 400 Euro/m².
Dies sind die zwei großen Begriffe für die Zukunft: Power to Gas – aus Strom Gas erzeugen und in Erdgasleitungen einspeisen – und Power to Heat – wir betreiben mit dem Überschuss-Strom Wärmepumpen, die Wasser auf 60° C bzw. in der Kaskade bis auf 90° C erhitzen.“

Frage: Ihre Aktivitäten gehen hin zu Siedlungen?
Prof. Dr. Fisch: „Unser Fokus für die Zukunft sind städtische Quartiere und grosse Nichtwohngebäude – wie Schulen, Büro- und Gewerbebauten. Die Untersuchungen zur Umsetzung des AktivPLUS-Standards an Ein- und Mehrfamilienhäusern sind grösstenteils abgeschlossen bzw. in der Betriebsphase. Das Kosten/Nutzen-Verhältnis steht für die Wirtschaftlichkeit, ob zur Reduzierung von Energiebedarf oder der Erzeugung aus Erneuerbaren Energien. Im Kontext von Solarenergie bedeutet dies, dass grössere Anlagen oder Speicher für Quartiere kostengünstiger werden und andererseits eine Überdimensionierung von Solarflächen vermieden werden sollte, da der Ertrag stärker abnimmt als Investition pro Quadratmeter. Die Kostenkurve geht mit der Fläche nach unten, aber der Ertrag geht noch steiler nach unten. Seit 25 Jahren ist mein Statement: der erste Quadratmeter Kollektorfläche ist der wirtschaftlichste. Der solare Deckungsanteil nimmt mit der Fläche anfangs steil und führt zunehmende Fläche geringer und für ganz grosse Flächen kaum noch zu. Es ist wirtschaftlich fraglich, auf einem EFH 40-50 m² Solarkollektoranlagen zu installieren und einen 10-15 m³ Speicher damit zu füllen. Bei den heutigen PV-Anlagen wird das öffentliche Stromnetz bisher noch als saisonaler Speicher genutzt, dies hat seine Grenzen. Wir arbeiten an innovativen Zukunftskonzepten (Power to Heat, Power to Gas…), um wirtschaftliche Lösungen für das Smart Grid zur Verfügung zu haben.

Das Gespräch führte Jörg Pfäffinger

Fotos: Barbara Staubach

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