AktivHaus – Ein Interview mit Prof. Hegger (†)

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Vom Passivhaus zum AktivHaus – Neues für die Wohnungswirtschaft

(Interview mit Prof. Manfred Hegger (†), TU Darmstadt – gekürzt erschienen in DBZ 2-2015)


Unter der Projektleitung von Prof. Manfred Hegger, TU Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Entwerfen und Energieeffizientes Bauen (Fgee) entsteht im Zentrum Frankfurts für die ABG FRANKFURT HOLDING ein zukunftweisendes Wohngebäude. Das Aktiv-Stadthaus mit 75 Mietwohnungen auf ca. 6500 m² Wohnfläche soll einen Energieüberschuss erzeugen, der sogar eine hauseigene Elektro-PKW-Flotte versorgt. Dabei werden die klassischen Passivhaus-Elemente mit einer ganz aktuellen Energieerzeugung ergänzt.

Ein Gespräch mit Prof. Manfred Hegger, Planer des Projektes und Initiator von zwei preisgekrönten Modellobjekten der TU Darmstadt.

Frage: Herr Prof. Hegger, wie kam es zur Realisation dieses Gebäudes?
Prof. Hegger: „An der TU-Darmstadt haben wir die beiden SolarDecathlon-Häuser geplant und erstellt, die beim gleichnamigen internationalen Hochschul-Wettbewerb 2007 und 2009 jeweils den ersten Preis gewonnen haben.
Daraufhin wurde das Plusenergie-Haus der Bundesregierung gebaut, das in verschiedenen Städten ausgestellt wurde, eine vergrößerte Version unseres ersten SolarDecathlon-Hauses. Es war auch zwei Monate in Frankfurt auf dem Goetheplatz zu besichtigen. Auf einer dortigen Tagung der Frankfurter Wohnungswirtschaft sprach mich Herr Junker von der ABG FRANKFURT HOLDING an, ob man derartiges auch in größerer Ausführung erstellen könne und so hat sich dieses Projekt entwickelt.“

Frage: Das klingt nach schwieriger Aufgabenstellung.
Hegger: „Ohne Frage. Erst einmal musste berechnet werden, bis zu welcher Höhe und mit welcher Hüllfläche im Verhältnis zur Wohnfläche ein solches Objekt überhaupt realisierbar wäre. Nach erstem Überschlagen kamen wir auf drei bis vier Stockwerke.
Als Herr Junker dann das mit 8,50 m sehr schmale Grundstück präsentierte, auf dem acht Geschosse zu entstehen hatten, wurde klar, dass es eine extrem anspruchsvolle Planung ergeben würde. Dazu haben wir ein Forschungsprojekt beantragt, in dessen Verlauf wir mit der Planung beginnen konnten. Um die die hoch gesteckten Vorgaben zu erfüllen, mussten die Gebäudehülle und der Fensteranteil optimiert werden. Auch mussten den Mietern energieeffiziente Haushaltsgeräte zur Verfügung gestellt werden, damit das Angebot an solarer Energie den Bedarf decken kann. Das ergab die Forderung nach voll eingerichteter Küchen plus Waschmaschinen und Trockner mit reduzierten Verbräuchen. Die ABG hat diese Forschung intensiv begleitet und hat mit uns mit gelernt und kritische Beiträge dazu geleistet. Die Fertigstellung wird ca. im April 2015 sein.“

Frage: Ergeben sich bei einem derart ambitionierten Projekt, das sich immerhin selbst mit Energie versorgen soll, denn nicht völlig unwirtschaftliche Investitionskosten? Es heißt in der Branche doch, PV in der Fassade sei kaum bezahlbar.
Hegger: „Für die ABG muss sich jedes Projekt rechnen und auch dieses Projekt wurde nicht subventioniert. Das gilt auch für die aufwändige PV-Anlage in der Fassade. Wenn gesagt wird, die PV in der Fassade sei erheblich zu teuer, ist das keine Funktion der PV, sondern der Ertrag in der Fassade ist geringer als auf dem Dach, gerade auch in der Verschattungssituation im innerstädtischen Umfeld. Der Ertrag in der Fassade dieses Aktiv-Stadthauses ist entscheidend dafür, dass wir bei der Energie-Situation im Plus sind.“

Frage: Zur gedämmten Gebäudehülle gehören u.a. auch Fenster mit Dreifach-Verglasung. Hegger: „Aufgrund der großen Gebäudehöhe und dem geringen Hüllflächenanteil mussten wir mit dreifach verglasten Fenstern arbeiten. Dies nicht nur aus Gründen der thermischen Bauphysik, also des Passivhaus-Standards, sondern auch aus Schallschutzgründen wegen der viel befahrenen Straße und der nahen Eisenbahnlinie. Die hohen Schallschutzanforderungen gehen konform mit den energetischen Anforderungen. Bei geringerer Geschosszahl wären wir möglicherweise mit Zweifachverglasung und geringerer Dämmung ausgekommen.“

Frage: Macht das AktivHaus das Passivhaus überflüssig – ist es eine Gegenentwicklung?
Hegger: „Das AktivHaus ist ganz klar eine Weiterentwicklung. Ohne die Entwicklung der Passivhaus-Technologie wären wir heute nicht so weit wie wir sind in den passiven Qualitäten des Gebäudes. Ich denke dabei an Dreifachverglasungen, an gedämmte Fensterrahmen und die Dämmung und Dichtheit der Gebäudehülle. Das sind Faktoren, die Grundlage für die Kompaktheit des AktivHauses sind. Diese Weiterentwicklung macht es sich zunutze, dass die aktiven Systeme heute viel kostengünstiger sind als sie es vor 20 Jahren waren, als der Passivhaus-Standard entwickelt wurde. Zusätzlich sind die Gestehungskosten für elektrische Energie bei diesem Objekt geringer als der Endverbraucherpreis für die Kilowattstunde Strom. Wir stellen die Kilowattstunde Strom am Gebäude für 17 Cent her, die in Frankfurt sonst ca. 25 Cent kostet. Daraus ergibt sich die Wirtschaftlichkeit der eigenen Energieerzeugung.“

Frage: Sind derartige Objekte nur im hochpreisigen Frankfurt möglich?
Hegger: „Bei einem Mietpreis von ca. 13 Euro inkl. Heizung, Strom und Küche sehe ich die Kosten für die Bewohner mehr als vertretbar, zumal bei innerstädtischer Lage mit bester Erschließung.“

Frage: Sie arbeiten mit Energiespeichern, um nachts Strom zur Verfügung zu haben. Rechnet sich das?
Hegger: „Die Speicher sind in der Gesamtkalkulation enthalten: wir finanzieren die Akkus durch die Kostendifferenz unserer Erstellungskosten von 17 Cent gegenüber den Marktkosten von 25 Cent. Wir haben also für 8 Cent pro Kilowattstunde Akkus eingebaut. Durch die Zwischenspeicherung können wir sehr viel mehr eigen-erzeugte Energie im Gebäude nutzen. Zusätzlich speisen wir ins Netz ein.“

Frage: Sie nutzen darüber hinaus die Abwasserwärme zur Energieerzeugung.
Hegger: „An der Fassade und auf dem Dach setzen wir PV-Elemente ein, dem Abwasserkanal entziehen wir Wärme, die dort zwischen 8 und 15 Grad liegt. Über eine mit Solarenergie betriebene Wärmepumpe erzeugen wir damit Heizung und Warmwasser. Mit der Elektrizität bedienen wir neben der Wärmepumpe die Haushaltsgeräte und die Elektromobilität.
Nur 15% des gesamten Energiebedarfs entfallen auf Heizung, die Warmwasser-Bereitung verbraucht einen größeren Anteil. 70 % des Energieverbrauchs entfällt auf den Strombedarf, davon benötigt die Wärmepumpe nur einen kleinen Teil, der Rest ist für die Haushaltsgeräte, trotz deren höchstem Energiesparstandards. Die Haushaltsgeräte sind die Hauptverbraucher bei diesem Objekt, denn aufgrund der Wohnbau-Förderung wurden relativ kleine Wohnungen mit 2, 3 und 4 Zimmern realisiert. Durch die resultierende dichte Belegung ergibt sich der hohe Anteil an Elektrogeräten.
Bei einem Einfamilienhaus dagegen spielen die Heizenergieverbräuche schon aufgrund des höheren Anteils der Hüllflächen eine größere Rolle.“

Frage: Wie werden die Wohnungen beheizt?
Hegger: „Wir setzen auf ein recht einfaches Haustechnikkonzept: die Wärmeübertragung erfolgt aus Kostengründen durch konventionelle Niedertemperatur-Heizkörper. Wir setzen dezentrale Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung pro Wohnung ein. Und natürlich sind die Fenster öffenbar.“

Frage: Wie wird der Energiestandard AktivPlus von der Wohnbaugesellschaften dem Mieter gegenüber kommuniziert?
Hegger: „Jeder Mieter erhält ein Budget, das im Standardverbrauch entsprechnder Wohnungen liegt. Dazu gibt es zu jeder Wohnung ein I-Pad, das über ein spezielles App darüber informiert, wie viel Energie bis zu diesem Zeitpunkt vom Bewohner verbraucht worden ist und wie hoch sein Verbrauch im Verhältnis der anderen Mieter liegt. Zusätzlich wird die aktuelle solare Deckung angezeigt, weiterhin, ob der Strom aus dem Speicher oder aus dem Netz kommt. Damit sollen die Mieter dazu angeregt werden, sich ihren Energieverbrauch bewusst zu machen.“

Frage: Was ist Ihre „AktivPlus“-Botschaft an Wohnbaugesellschaften?
Hegger: „Die Botschaft lautet: erweitert eure Dienstleistungen im Bereich Betreuung und Energieversorgung, die nicht immer beim Energieversorger liegen muss. In diesem Projekt bietet der Vermieter alle Energiedienstleistungen selbst an. Es gibt dabei die Schwierigkeit, dass jeder Haushalt frei ist in der Wahl seines Elektrizitätsversorgers. Hier wurde dies umgangen, indem der Vermieter dem Mieter die elektrische Energie schenkt.“

Frage: Dies ist ein Leuchtturm-Projekt? Wie geht es weiter?
Hegger: „Das Aktiv-Stadthaus ist kein einmaliger Leuchtturm, sondern ein erstes Projekt dieser Art. Die ABG hat mitgeteilt, in dieser Richtung weiter aktiv zu sein und es sogar auf den Bestand auszuweiten. Darüber hinaus haben uns Anfragen aus anderen Städten erreicht.
Wir sprechen hier nicht von einem PlusEnergie-Haus, sondern vom AktivHaus. D.h., wir sollten uns, jeweils in Abhängigkeit von den Parametern eines Gebäudes entscheiden, wie viel Energie wir erzeugen können. Das kann bei einem Altbau bei 50% liegen, aber bei einem Neubau auch bei 200%, wenn dort günstige Rahmenbedingungen vorliegen. Gebäude sollten grundsätzlich aktiv sein, der Beitrag, den sie leisten, ist abhängig von der Lage im Stadtraum, von der Kompaktheit, etc.“

Frage: Geht die Entwicklung hin zum elektro-beheizten Gebäude?
Hegger: „Ja, das sehe ich so. Aktuelle Wärmepumpen verfügen über Faktoren von 4 bis 5 und damit ist eine effektive Stromheizung möglich, die in unserem Projekt zusätzlich den Tagesstrom für die Nacht speichert. Provokant gesagt haben wir es hier also mit einer aktuellen und effizienten Neuauflage der Nachtstrom-Speicheröfen zu tun, nur dass heute der Tagstrom gespeichert wird.“

Jörg Pfäffinger

Fotos: Barbara Staubach

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