Wohn- und Gewerbesiedlung Kalkbreite in Zürich

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Eine „WG“ der besonderen Art

Als im Sommer 2014 die ersten der 250 Mieter im Züricher Kreis 4 einzogen, war ein langer Planungs- und Realisierungsprozess erfolgreich beendet. Eine Genossenschaft ermöglichte ein Objekt, in dem innovative Wohnformen mit Gewerbezonen und deren 200 Arbeitsplätzen heute eine gemeinsame Adresse finden.

Integriert sind u.a. ein Kino mit Bar, Arztpraxen, ein ölologisch orientierter Lebensmittel-Shop, zwei Cafés, das Greenpeace-Schweiz-Büro, ein Restaurant und ein Tramdepot.

Gemeinnützige Genossenschaften

Wohnen in Zürich ist teuer, nicht nur in den exklusiven Quartieren. Gemeinnützige Genossenschaften bewirtschaften ca. 22 % des städtischen Bestandes, um trotzdem „Wohnen für alle“ zu ermöglichen. Die Genossenschaft Kalkbreite hat es sich zum Ziel gesetzt, nach den Grundsätzen von sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit bezahlbaren Wohn- und Gewerberaum in der Stadt zu schaffen.

Schon seit 1975 wurde die Überdeckelung der Tram-Abstellanlage an der Kalkbreitestrasse im Kreis 4 diskutiert und erst 2007 erhielt die ein Jahr zuvor gegründete Genossenschaft Kalkbreite das Baurecht in Erbpacht. Ausschlag gab ihr innovatives Konzept für das 6.350 m² große Grundstück: Das Verbinden von Wohnen, Arbeiten und Kultur sowie die Förderung sozialer Durchmischung und nachhaltiger Entwicklung. Es war ein städtischer Knotenpunkt gewünscht, der von der Lage mit sehr guter ÖPNV-Versorgung profitiert: zwei Tramlinien halten dort, sowie Busse. Andererseits ist die Blockrandsiedlung von zwei stark befahrenen Straßen und einer Bahntrasse begrenzt, was erhöhte Schallschutzauflagen ergab. Darüber hinaus war der Energiestandard Minergie-P-Eco gefordert.

Architekt Müller Sigrist Architekten

Das Büro Müller Sigrist Architekten gingen 2009 als Gewinner eines Wettbewerbs hervor. Dazu sagte Architekt Pascal Müller: „Es galt, die Verschiedenartigkeit der Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Das Projekt musste aus dem Programm heraus entwickelt werden, welches selber teilweise noch nicht ganz klar war. Es sollte ein Stück Stadt realisiert werden: mit Wegen, Plätzen, Aufenthaltsorten, nicht nur von der Nutzung her, sondern auch vom räumlichen Erlebnis.“

Nicht unbedingt eine leichte Aufgabe war die Integration einer Tramhalle, deren Gleise sogar während der Bauphase teilweise befahrbar bleiben mussten. Man habe rund um die Tramanlage eine vieleckige, abgetreppte Blockrandbebauung entworfen. Der 2.500 m² große Innenhof auf dem Dach der neuen Tramhalle ist heute öffentlich zugänglich und wird über eine Freitreppe von aussen her erschlossen. Weitere unterschiedlich gestaltete Dachgärten sind den Genossenschaftern vorbehalten.

Die Tramhalle wurde bis ins zweite Obergeschoss ausgebaut, im ersten OG herrscht ein hoher Büro-Anteil und im Erdgeschoss Gewerbe und Gastronomie. Insgesamt 24 gewerbliche Adressen gibt es in der Kalkbreite: acht Geschäfte, vier Gesundheits-Dienstleister inkl. Geburtshaus, einen Kindergarten, sechs Dienstleister inkl. Alternative Bank und Pension mit elf Gästezimmern, ein Kino mit fünf Sälen und Bar, ein Restaurant-Café, eine Bar, ein Café-Bistro und ein Cupcakes-Café.

Gemeimschaftliche Planung

In gemeinschaftlicher Abstimmung wurden ganz unterschiedliche Wohnmöglichkeiten geschaffen: 88 Wohnungen von 1 bis 9,5 Zimmern dienen unterschiedlichen Nutzungen der 250 Mieter. Neben konventionellen Wohnungen mit bis zu 5 Zimmern, gibt es größere Wohnungen für Wohngemeinschaften und auch „Großhaushalte“, mit 20 Wohnungen zu denen eine Gemeinschaftsküche mit angestellter Köchin und einem gemeinsam genutzten Ess- und Aufenthaltsraum gehören. Um soziale Kontakte anzustoßen, haben die (meist kleineren) Wohnungen nur kleine Kochgelegenheiten, denn man trifft sich, so ist geplant (und heute zu beobachten), in gemeinschaftlichen Bereichen mit entsprechend ausgestatteten Küchen. So gibt es -aus energetischen Gründen- auch keine Tiefkühlgeräte in den Wohnungen, sondern eine zentrale gemeinschaftliche Kühlanlage und einen Waschsalon. Von Montag bis Freitag wird am Abend für alle ein Essen zu einem moderaten Preis angeboten, hier muss niemand alleine sein.

Es gibt Single-, Paar- und Atelierwohnungen und neun Joker mit Nasszelle, aber ohne Küche. Diese Wohnjoker dienen der räumlichen Flexibilität der Wohnungen, indem sie einen vorübergehend gestiegenen Raumbedarf einzelner Bewohnerinnen oder Wohngruppen auffangen können. Sie werden befristet vermietet; die Frist richtet sich nach dem Bedarf und kann je nach Situation zwischen 6 Monaten und einigen Jahren betragen.

Im Innern führt die Erschließungsstraße „Rue Intérieur“ über mehrere Geschosse zu den Wohnungen und verbindet die sieben Treppenhäuser. Hier ist Gelegenheit für nachbarschaftlichen Plausch und Begegnung. 600 m² Gemeinschaftsflächen stehen bei 7.700 m² Wohnfläche zur Verfügung.

Individueller PKW-Gebrauch ist in der Kalkbreite verpönt, konsequenterweise stehen auch keine Parkplätze auf dem Areal bereit.

Dem hohen Anspruch des Energie- und Ressourcenverbrauchs war auch die Reduzierung des individuellen Wohnflächenverbrauches geschuldet, der in der Kalkbreite bei durchschnittlich 35 m² pro Person liegt (Schweiz: 50 m² ). So gibt es keine individuellen Außenräume. Balkone zum Hof hin gibt es nur für die Gemeinschaftsräume der Clusterwohnungen und für die großen Wohngemeinschaften.

Bautechnik – Hybridbau bot Vorteile

Die Nähe zur Fernbahn und die Tramgleise im Erdgeschoss erforderten spezielle Maßnahmen: Masse-Federsystem unter den Tram-Gleisanlagen dämpfen den dortigen Lärm, in der Nähe der Bahngeleise mussten die Köpfe der Pfähle, die die Wände tragen, schwingend gelagert werden.

Eine Herausforderung, so Architekt Müller, sei die Bandbreite der unterschiedlichen Wohnformen gewesen, die in ein Haus zusammen zu bringen waren. Dann die spezielle Situation der Tramhalle, die eine sehr kurze Bauzeit verlangte, um den Trambetrieb so schnell wie möglich in normalem Umfang weiter führen zu können. Hier wurde konsequent auf Vorfertigung gesetzt: Betonstützen für Halle und Rohbau, vorfabrizierte Decken- und Trägerelemente für die Halle. Es wurden Stahlfachwerkträger eingesetzt, teilweise auch Tragwerk in Holz, um Gewicht zu sparen.

Der Wohn- und Gewerbebau wurde in Skellettbauweise und in Ortbeton ausgeführt, die nichttragende Fassade in Holz. Dies u.a. aus wirtschaftlichen Gründen: aufgrund des Minergie P-Eco-Standards sei die Holzfassade 42 cm stark, konventionell hätte man mit 60 cm rechnen müssen. „Durch die vorgefertigten Holzfassen-Elemente haben sich fast 1/3 mehr nutzbare Geschossfläche ergeben. Ein Massivbau wäre schlussendlich teurer gekommen, weil wir viel länger gebaut hätten“, erläutert Müller. Der Fensterhersteller Baumgartner brachte die Holz-Aluminium-Fenster mit Dreifach-Verglasungen ins Werk des Holzbaubetriebs Baltensperger, der geschosshohe Elemente auf die Baustelle lieferte. Die Fassade wurde aus brandschutztechnischen Gründen verputzt.

Wände und Fenster erbrachten den geforderten hohen Schallschutz, im Wohnbereich des lärmgefährdeten Seebahngrabens wurden Loggias vorgesehen.

Fast alle Dächer sind über Freitreppen begehbar, es wurde Substrat mit extensiver Begrünung verwendet und PV-Elemente sorgen für Energieeintrag.
„Die Herausforderung war, dass alle Dächer mit Freitreppen begehbar sind. Hier waren die Abdichtungen anspruchsvoll sowie die Kombination der Fassaden-Holzelemente mit den Brüstung und den Beton-Fertigelementen“, erinnert sich Müller.

Haustechnik

Wärmepumpen werden mit Grundwasser versorgt und die Temperaturdifferenz reicht zur Wärmeerzeugung aus. Die Wärmeübertragung erfolgt über Fußbodenheizungen.

Im Gewerbebereich kommen teilweise konventionelle Kühlanlagen zum Einsatz.
Eine kontrollierte Lüftung ist bei Minergie P zwingend, auch aus Lärmschutzgründen. Jedem der sieben Treppenhäuser ist eine derartige Anlage mit Wärmerückgewinnung zugeordnet.
Über öffenbare Lichtschächte, die die Rue Intérieur mit Tageslicht versorgen, erreicht man eine einfache Nachtauskühlung.

Jörg Pfäffinger

Bauherr: Genossenschaft Kalkbreite
www.kalkbreite.net

Architekt: Müller Sigrist Architekten AG, Zürich
www.muellersigrist.ch

Holzbauingenieur: Makiol und Widerkehr, CH-Beinwil am See
www.holzbauing.ch

Holzbau: Baltensperger, CH-Zeuzach
www.baltenspergerbau.ch

Bauzeit: Januar 2012 bis April 2014: 1 Jahr Rohbau, 1 Jahr Innenausbau.

U-Wert Dach: 0,09 W(m2K)
U-Wert Wand: 0,11 W(m2K)
Kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung, insgesamt 7 Anlagen
5.000 m² Gewerbemix
7.700 m² Wohnen
2.500 m² Terrasse
600 m² Gemeinschaftsflächen

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