Nachhaltige Architektur für Gewerbeprojekt

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Autor: Prof. Dr. Dagmar Everding (FH Nordhausen)

Das SMA-Quartier in Niestetal bei Kassel

Die Bushaltestelle an der Breslauer Straße in Niestetal – kurz nach der Kasseler Stadtgrenze – trägt den Namen SMA. Die Adresse der Unternehmenszentrale von SMA SolarTechnology AG lautet „Sonnenallee 1“. Diese Namensgebungen spiegeln sowohl die Bedeutung des Unternehmens für die kommunale Entwicklung als auch die Hoffnungen wider, die sich mit dem staatlich geförderten Aufbau einer deutschen Solar-Industrie verbanden.

Die Bedeutung des Unternehmens

Wechselrichter dienen der Umwandlung von Strom aus erneuerbaren Energien, der z. B. in PV-Anlagen als Gleichstrom gewonnen wird, in Wechselstrom, damit er in Haushalten, Einrichtungen und Unternehmen verwendet werden kann. SMA Solar Technology gehört zur deutschen Solar-Industrie, deren Aufbau durch die Geburt des EEGs und der damit verbundenen Einspeisevergütungen für regenerative Energien positiv beeinflusst wurde. Als schließlich billig in Schwellenländern, insbesondere China, hergestellte Produkte in den deutschen Markt eindrangen, erlebte die heimische Solar-Industrie ein Fiasko. Viele Standorte und tausende Arbeitsplätze gingen verloren. SMA Solar Technology setzte frühzeitig auf die Globalisierung ihrer Aktivitäten und ist heute an 20 Standorten weltweit tätig. Aufgrund dieser Strategie kann die SMA Solar Technology AG ihre deutsche Industrieproduktion in reduziertem Umfang fortsetzen. Die Beschäftigtenzahlen mussten allerdings von ca. 5.600 im Jahr 2012 auf ca. 4.100 im Jahr 2015 reduziert werden.

Die Unternehmenszentrale

Das 5-geschossige Hauptgebäude von SMA SolarTechnology überragt in angemessener Weise die benachbarten 3-geschossigen Wohngebäude. Zur Straßenkreuzung zeigt sich der Komplex als modernes Bürogebäude. Das Entrée des Gewerbekomplexes von SMA ist als sich in den Stadtraum integrierende Straßenrandbebauung gestaltet, die gleichzeitig durch ihre Formensprache selbstbewusst und prägend wirkt: „Form follows function“. Unterschiedliche Fensterhöhen in der Fassade lassen spezielle Raumfunktionen nach außen sichtbar werden.

Energetische Besonderheiten erschließen sich dem Betrachter durch die Kompaktheit des Baukörpers und die Glasanteile in der Fassade. Sie dienen vor allem der guten Belichtung der Büros. Der eigentlich repräsentative Raum befindet sich im Kern des Gebäudes im überglasten Atrium. Dieses Atrium erinnert an die Lohnhallen in den Zechenensembles des Ruhrgebietes, die ebenfalls häufig als überglaste Atrien gestaltet waren und die die Beschäftigten beeindrucken sollten. Die Atriumlösung bietet in Bürogebäuden viele energetische Vorteile: reduzierte Wärmeverluste aufgrund des geringen Außenwandanteils, großer Luftraum mit vermindertem Raumklimatisierungsbedarf, Einsparungen bei den Flächen für die innere Erschließung. In diesem Fall haben die Architekten HHS-Partner dem Atrium den Charakter eines halb-öffentlichen Stadtraums gegeben, der als „überdachter Platz“ auch für Veranstaltungen genutzt wird.

Die gute Belichtung und Belüftung der Räume als auch ein Materialeinsatz, der für eine angenehme Akustik sorgt, befördern die Behaglichkeit in diesem Gebäude.

Die Produktionsstätten

Von der Mitarbeiterkantine im 1. Obergeschoss der Unternehmenszentrale kann man durch Fenster an der Ostseite in die große Werkshalle schauen. Sie umfasst mehr als 10 Mal mehr an Grundfläche als die mit ihr baulich verbundene Unternehmenszentrale. Der Lieferverkehr zu der Werkshalle erfolgt von der dem Eingang zur Unternehmenszentrale abgewandten Seite. Dort schließt sich auch das Parkhaus für die Beschäftigten an.
Die Sichtverbindungen zwischen den Produktionsbereichen und anderen Unternehmensfunktionen finden sich nicht nur bei dieser sondern auch bei anderen Werkshallen des Unternehmens. Ermöglicht wird die Aufgabe der traditionellen starken räumlichen Trennung von Produktion und Dienstleistungsfunktionen wie z. B. Forschungs- und Messlabors sowie Verwaltung durch die Art der Produktion. Es handelt sich im Wesentlichen um Montage- und Veredelungsprozesse sowie um Qualitätskontrollen. Wesentliche Komponenten werden durch qualifizierte Vorlieferanten fabriziert, so dass erheblich emittierende Arbeitsschritte wie Verbrennung und Verhüttung ausgelagert sind.
Aufgrund der niedrigen lokalen Umweltauswirkungen gelingt eine städtebauliche Integration in den Stadtteil, eine Nähe von Wohnen, Arbeiten, Dienstleistungen in einem gemischten Stadtquartier.
Die Wechselrichter, das Hauptprodukt von SMA, sind mit der PV-Technologie eng verbunden. Die Energiekonzepte, die in den verschiedenen Gebäudekomplexen von SMA zum Einsatz kommen, beziehen deshalb die PV-Nutzung ein. Weitere Komponenten bilden vor allem Blockheizkraftwerke.
Die große Zahl verwendeter PV-Module wird im Stadtraum auf vielfältige Weise erlebbar, als Seitenwand einer Werkshalle, als Überdachung eines Parkplatzes sowie als Glas-Glas-Module in verglasten Fassadenfronten.

Solar-Akademie

Leicht abgesetzt von den sonstigen Werks- und Verwaltungsgebäuden befindet sich im Übergang des Siedlungsraumes zur Landschaft der Neubau eines Schulungsgebäudes. Die Schulung von Handwerkern, Ingenieuren und Vertrieblern im Einsatz innovativer regenerativer Technologien stellt für das Unternehmen SMA Solar Technologies ein wesentliches Vermarktungsinstrument dar. Deshalb demonstriert die Solar Akademie sowohl ein besonders energetisches Konzept als auch eine mit Landschaft und Natur verbundene Architektur. Das Gebäude versorgt sich selbst mit Energie, aus bauwerksintegrierter Photovoltaik (Fenster mit Glas-Glas-Modulen, Aufdachmodule sowie umliegende Solartracker) ebenso wie aus einem Biogas-Blockheizkraftwerk und zur Raumkühlung aus dem Grundwasser. Voraussetzung der Selbst-versorgung bildet eine hoch-energieeffiziente Bauweise. Aufgrund der Lage im Überflutungsbereich der Fulda ist der langgestreckte Baukörper aufgeständert. So entsteht einerseits ein schwebender Eindruck. Andererseits öffnen sich Durchblicke in die Flussauenlandschaft.

Nachhaltige Architektur

Wenn Architektur sich durch Nachhaltigkeit auszeichnet, beachtet sie ökologische, soziale und wirtschaftliche Belange. In den Produktionsstätten und Verwaltungsgebäuden des SMA-Quartiers wurde eine hochwertige Arbeitsplatzgestaltung realisiert. Vergleichbares gilt für die Sozialräume und die Arbeitsbedingungen (Luft, Licht, Akustik). Die Qualität der Architektur unterscheidet nicht zwischen Produktionsstätten und Verwaltung. Die unterschiedlichen energetischen Konzepte der verschiedenen Gebäudekomplexe sind jeweils mit der Architektur verwoben. Den architektonischen Höhepunkt in diesem Quartier stellt die Solar-Akademie dar. Diese integrativen Gewerbebau-Ensembles entstanden zwar nach und nach, aber dennoch in einem insgesamt gesehen kurzen Zeitraum (ca. von 2006 bis 2012). Das schnell wachsende Unternehmen musste sich mit immer wieder neuen Bauaufgaben in eine vorhandene Ortsstruktur mit Gewerbegebäuden und Wohnsiedlungen einfügen. Die gefundenen Lösungen wurden nach meiner Einschätzung möglich, weil die Unternehmensgründer und die Architekten HHS Planer + Architekten AG, Kassel, ein gemeinsames Wertesystem leben, d. h. beide sich in dem Bestreben um Nachhaltigkeit gegenseitig befördern.
(Fotos Thorben Mahlberg)

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