Hermann Blumer über den Swatch-Neubau

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Ein Gespräch mit Hermann Blumer über den Swatch-Neubau in Biel
(Veröffentlicht im „Holzbau-Magazin“ 2020)

Swatch-Neubau in Biel

eb-praxis.com: Création Holz war an der Entstehung des Swatch-Omega Holzbaus beteiligt. Was verbirgt sich hinter diesem Ingenieurbüro?
Hermann Blumer: „Création Holz ist eine eher kreative Gemeinschaft, die 2003 begonnen hat, den Holzbau ganzheitlich zu erfassen. Dazu hatten wir konspirative Treffen mit Spezialisten der Chemie, Bauphysik, Haustechnik, Thermodynamik, usw. Mit diesen wichtigen Disziplinen, die am Rande des Holzbaues auch eine Rolle spielen können, haben wir diverse Innovationen hervorgebracht. Architekten kommen zu uns, weil sie sich in einer Planung befinden, die mit einer Flut von Bedenken zugeschüttet wird bzw. wurde. Als da wären: „Das kann niemand ausführen“ oder „Das ist im Holzbau nur schwer möglich“, etc. Wir versuchen den Entwurf zu verstehen und abzuklären, ob wir mit unseren Erfahrungen in der Lage sind, ihn zu einer lösbaren Aufgabe umzuwandeln. Beim Swatch-Bau ist es mir gelungen, 2013 bei der Bauherrschaft Mut zu diesem Projekt zu entwickeln. Dann ging es darum, die Machbarkeit, also unter anderem die Statik und Ausführung zu beweisen und die Partner dafür zu finden. Für manche sind diese damaligen Aktivitäten heute nicht mehr ersichtlich.“

eb-praxis.com: Ihre Kontakte zum Architekt Shigeru Ban waren ja auch schon vor diesem Projekt sehr intensiv.
Blumer: „Shigeru Ban lernte ich 2005 beim Projekt „Centre Pompidou“ in Metz kennen, wo ich ihn am Flughafen Zürich auf Wunsch von Holzbau Amann abholte und zu deren Werk nach Deutschland brachte. In den zwei Stunden des Gesprächs sagte ich die Durchführbarkeit des Projektes zu. Alle zuvor kontaktierten Spezialisten hatten das Projekt als mit Holz unrealistisch eingestuft. Amann war dann auch bei fünf Bewerbern das einzige Unternehmen, das ein Muster präsentieren konnte, das die Umsetzung klar zeigte.
Fast parallel dazu liefen die Planungen für Shigeru Bans Projekt „Haesley Nine Bridges Golf Club House“ in Korea, es folgte Tamedia in Zürich. Diese Objekte gaben mir die Gewissheit, Swatch realisieren zu können.
Seit jener Zeit bin ich, wenn es um das Holz geht, bei Wettbewerbsbesprechungen an der Seite von Shigeru Ban fast immer dabei.“

eb-praxis.com: Der Swatch-Neubau ist mit drei Gebäuden verbunden, heisst es.
Blumer: „Zwei davon sind ähnlich ausgeführt, das dritte ist speziell. Omega 1 ist ein mehrgeschossiges Gebäude mit Betonkern für die Uhrenfertigung, das Ähnlichkeiten mit dem Tamedia-Bau aufweist. Omega 2 ist mehr ein Museum mit großem Konferenzsaal. Dieses hohe Gebäude muss sich selbst über das Holz aussteifen. Der 240 m lange Neubau ist die Firmenzentrale von Swatch. Für alle drei haben wir mit Firmenchef Nikolas Hayek verhandelt. Ich konnte ihm vermitteln, dass die geplanten Gebäude realisierbar waren.“

eb-praxis.com: In dieser Größenordnung gab es vorher kein entsprechendes Holzbau-Projekt.
Blumer: Das gab es in der Schweiz bis dahin nicht. Es ging um 220 Mio. Franken und um ein Projekt, bei dem es für einige Betrachter gar nicht klar war, ob das in Holz zu realisieren sei. Dabei war ich mir sicher, es zu schaffen. Für Tests wurde die BFH in Biel kontaktiert, um eine wissenschaftliche Aussage zu einigen Details zu haben. Bei allen diesen Bauten müssen Tests durchgeführt werden, denn die Normen sind für derartige Bauten mit Holz-Holz-Verbindungen nicht geschrieben – aber vielleicht ja in zehn Jahren.
Speziell beim Swatch-Gebäude ging es eben nicht nur um die Statik des Holzbaues, sondern auch um die Geometrie, um die Aussenhülle und die Integration der Haustechnik in das Holzgitter. Wir waren gefordert, neue Ansätze für die Erstellung der Gebäudehülle zu finden.

eb-praxis.com: Bitte einige Ausführungs-Details
Blumer: „Die Knackpunkte waren u.a. folgende: Beim Omega 1 durfte es fast keinerlei Schwingungen geben, denn es werden dort beim Uhrenbau kleinste Teile zusammen gefügt. Nachdem ich einen Kollegen aus meiner Studienzeit hinzugezogen hatte, war eine Lösung möglich – es war eine extreme Anforderung und für uns eine längere Arbeit. Omega 2 mit fünf Geschossen in Holz ohne Metallverbinder galt bis dahin als utopisch. Im 4. OG gibt es den Konferenzsaal für 400 Menschen. Die Bedenken gingen bis zum Brandschutz, als erste große Hürde. Die Genehmigungsbehörde in Bern kannte mich vom West Side Centrum von Daniel Liebeskind in Bern und ließ sich schließlich überzeugen.
Beim Swatch-Bau waren 4500 individuelle Holzelemente als Träger der Membranelemente, der Glaselemente und der Beschattung vorgesehen. Alles musste in Freiformen ausführungsreif geplant werden, Symmetrien oder Wiederholung gab es nicht. Ich war überzeugt, dass der Holzbau zu meistern war.“

eb-praxis.com: Neben dem Holzbau waren aber noch andere Dinge zu planen.
Blumer: „Die umfangreiche Haustechnik sollte in die Holzkonstruktion integriert werden. Da deren Pläne erst recht spät komplett vorlagen, mussten wir bei jeder Bohrung in der Statik einen Rattenschwanz von Iterationen fahren. Im Team mit DesignToProduction, SJB.Kempter.Fitze AG und Blumer-Lehmann wurde dies schlussendlich möglich, denn es waren u.a. diverse geometrische, statische und handwerkliche Lösungen gefragt. Die Schnittstellen Fassade/Holzbau waren durchaus herausfordernd.
Für die Funktionalität dieser Fassaden- bzw. Dachelemente ging es um Lambda-Werte U-Werte, g-Werte, die von Création Holz in Spezialuntersuchungen ermittelt werden mussten. Wir mussten zusammen mit DesignToProduction und dem Ingenieurbüro SJB.Kempter.Fitze AG den Fassadenplanern und -bauern die konstruktiven Geometriewerte, Verbindungstechniken und Herstellungshilfen bereitstellen.“

eb-praxis.com: Gab es Verzögerungen am Bau?
Blumer: „Nachdem Shigeru Ban seine Zusammenarbeit mit regionalen Architekten auf ein anderes Team aus Bern übertragen hat, ging es wieder besser voran. Bei der Mehrheit fehlt die Vorstellung, wie ein derartiger Bau umzusetzen ist. In diesem Umfeld konnte nun Christoph Meier, heute CEO von Création Holz mit seiner sachlichen Art das Schiff an gefährlichen Klippen vorbei steuern.“

eb-praxis.com: Was waren weitere Herausforderungen?
Blumer: „Die Phase der Vergabe zeigte uns ganz unterschiedliche Anbieter mit ganz unterschiedlichen Preisen. Wie ließen uns von den Anbietern einen schwierigenAusschnitt aus der Konstruktion als Muster vorlegen.
Bei einer öffentlichen Ausschreibung ist es schon so, dass der günstigste Anbieter nicht unbedingt auch das nötige Wissen für ein derartiges Projekt mitbringt. Man muss bei solchen Projekten ein hochmotiviertes Team finden.
Der Zuschlag für die Ausführung wurde Blumer-Lehmann übertragen, die mit einer noch bis vor Kurzem nicht für mögliche gehaltenen Präzision die Holzbalken mit ihren Holz-Holzverbindungen bearbeiteten und montierten.“

eb-praxis.com: Ihr Fazit?
Blumer: „Die Branche hat durch unsere Bauten für Shigeru Ban neue Impulse erhalten. Bei dieser Art Holzbau muss man die Verbindungen beherrschen, mit einer guten Portion Statik läuft es dann.“

Das Gespräch führte Jörg Pfäffinger

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